Viele Reisen waren Begegnung mit Kunst, und Gedanken zur Kunst waren gern gesehene Begleiter, die sich oft tagelang geduldig in jeden Winkel mitnehmen ließen. Auf Reisen waren mir theoretische Kunstbetrachtungen auch weniger fremd. Einige Auszüge:
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Ein Kunstwerk hat unsichtbare Eigenschaften, die ein gewöhnlicher Gegenstand nicht hat. Wodurch er zur Kunst wird bleibt ein Rätsel. Wenn „Le sublime“ präsent ist, ist es die Macht, die beeindruckt und dem Ideal sehr nahe ist. Eine Wirkung wie mächtige Magneten, die Körper und Geist in eine andere Dimension ziehen.
Paris, 2003
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Bei genauerer Betrachtung der Dinge wird aus der Wirklichkeit eine reflektierende Aura aus flirrendem Licht. Die Dinglichkeit verliert Kontur und wird schwebend. Die Illusion wird illusionär.
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Die Kunst ist fast genauso eine große Illusion. Ihr Erklären bleibt unmöglich, ihr Verstehen ein Wunder.
La Cadière, 1995
Bei einem Antiquar entdecke ich „Jongkind aquarelles“. Dieser Maler war mir unbekannt. Die Aquarelle seiner Stadtansichten von Paris haben erstaunliche und außergewöhnliche Kraft wie Qualität. Hier gilt: Um wahr sein zu können, muß sich die Kunst über das Leben erheben, muß schöner als dieses, soll ideal sein. Ihr Zweck ist es nicht, das gewöhnliche Dasein zu zeigen, „das schlechthin nicht ist, wie es sein soll“ , sondern vielmehr die prosaische Realität durch das „Wunder der Idealität“ zu überwinden. Jongkind, ein fast vergessenes Genie, der den Impressionismus miterfand, hat dies geschafft.
Paris, 2002
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Das Museum of Modern Art hat sich der Mission verschrieben, weltweit das führende Museum seiner Art zu sein. Die Sammlung zeigt, welche außergewöhnliche Bedeutung die Kunst der europäischen Avantgarde in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte. Eine Sammlung, die in ihrer Breite und Tiefe wohl keiner anderen auf der Welt gleichkommt. Viele Bilder, die ich betrachte, rufen einen starken aber unbestimmten Eindruck hervor. Es ist nicht einfach, Orientierung zu finden und die Kraft zu haben, nicht auf jede Erscheinung zu reagieren.
New York, 1981
Im Louvre bin ich immer wieder überwältigt von der verwirrenden Vielfalt der Stilarten, die die bildende Kunst bietet. Trotzdem sind sie ein einheitliches Zeugnis der künstlerischen Ausdruckskraft. Es geht immer wieder um Fragestellungen, die auch in ihrer Unterschiedlichkeit auf ein und dieselbe Substanz bezogen sind.
Paris, 2001
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Cefalú und seine Umgebung haben eine starke Strahlung, die sich aus der Tiefe zu erheben scheint. Das Gefüge unserer Welt in seiner gewohnten Ordnung wird hier zur Chimäre. Mythos, Traum und Wirklichkeit fließen magisch zusammen. Die starre Materie scheint belebt. Das wirkt sich auch auf die Betrachtung der Artefakte aus. Eine neue Erfahrung.
Cefalú, 2004
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Besuch der Villa Borghese. Eine beeindruckende Sammlung. Allein der Aufenthalt in den prächtigen Sälen ist ein Genuß. Vollkommene Architektur. Ich zehre von der Harmonie, die sich auf mich überträgt.
Rom, 1983
Um den Geist einer Landschaft zu erfassen, ist die um schöpferische Gestaltung wissende Intelligenz eine wertvolle Hilfe. In der Eremitage. Hier erfahre ich, wie sich Kunst in kristallener Schönheit dem Geist offenbaren kann. Ich bin überwältigt von der magischen Kraft, die Bilder ausstrahlen können.
Leningrad (St. Petersburg), 1971
Die Kunst vermag dem Gegenstand eine Note mitzuteilen, die in der Natur nicht vorkommt oder die in ihr verborgen ist. Die sehr spannungsvollen Werke von William Turner in der Tate Gallery sind dafür ein gutes Beispiel. Der Maler nimmt die gegenständlichen Vorgaben zum Anlaß für höchst subjektive Bilderfindungen.
London, 1982
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In der Tretjakow-Galerie überrascht mich, wie dicht und hoch übereinander gehängt die Werke in einer überquellenden Fülle gezeigt werden. Die Propagandakunst aus dem 2. Weltkrieg nimmt einen großen Platz ein. Die ideologische Verwertung dieser Werke im Kontrast zu den alten Meistern setzt Maßstäbe. Eine Richtung, die sich aus den Erwartungen und Bedürfnissen, die befriedigt werden wollen, ableitet. La médiocrité gewinnt Raum.
Moskau, 1971
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Es kommt nicht so sehr auf den Inhalt, sondern vielmehr auf den Ausdruck an. Mit jedem Bild wird ein Aspekt hinzugefügt. Die Kompetenz erweitert.
Das Schöne nicht zu sehen, beweist einen Mangel an Erkenntnisfähigkeit. Ohne Wissen ist eine genuine ästhetische Erfahrung nicht möglich.
Nice, 2000